Liebe ist gross – Liebe ist unendlich
Wolf Schneider im Gespräch mit Maitreyi Piontek
Macht uns Liebe verrückt? Oder stimmt eher das Gegenteil davon: Erst indem wir Liebende werden, werden wir normal?
Maitreyi: Es sind eher die Hormone die verrückt spielen, die rufen gerne unberechenbare emotionale Zustände hervor. Zudem ist die Sexualenergie das Tor zum menschlichen Unbewussten. Menschen, die nicht gelernt haben, ihre Sexualität von Unterdrückungen zu befreien und diese Kraft bewusst zu leben, können von diesen unbewussten Inhalten und Verrücktheiten regelrecht überflutet werden. Wir sehen ja, was Menschen im Zusammenhang mit Sex für verrückte und eigenartige Dinge tun. Für unsere Entwicklung ist es wichtig, dass wir lernen, Sex mit Liebe und Bewusstsein zu leben, und die eigenen Unbewusstheiten zu heilen und zu integrieren. Ich war über zwanzig Jahre lang in der Notfallpsychiatrie tätig. Wie ich das dort und anderswo erlebte: Es ist nicht die Liebe, die Menschen verrückt macht, sondern die Unfähigkeit zu lieben. Ohne Liebe leben Menschen sehr gefährlich, denn sie sind der Flut der kollektiven und persönlichen Unbewusstheiten schutzlos ausgeliefert.
Liebe ist also gesund. Es ist nur das Unbewusste, also das, was wir von uns selbst und vom anderen nicht wissen, was gefährlich ist und Verrücktheiten produziert? Weil die Sehnsucht, das Glück und der Schmerz im Bereich der Liebe so groß sind, ist es in diesem Bereich noch viel gefährlicher als anderswo, sich Unbewusstheit zu erlauben?
Maitreyi: Erlauben ist gut gesagt – wenn es denn so einfach wäre, Sexualität und das höchste Bewusstsein miteinander zu vereinen, dann würde die Welt vermutlich etwas anders aussehen. Bewusst zu leben und zu lieben ist eine große Kunst, die von Grund auf gelernt sein will. Ohne eine fundierte spirituelle Schulung ist das kaum machbar. Es wird notwenig, dass Menschen sich Zeit nehmen, sich auf einen langfristigen Schulungsprozess einzulassen, wo sie in die Geheimnisse des Lebens sorgfältig eingeführt werden. Denn für die spirituelle Entwicklung eines Menschen ist der Umgang mit der Sexualität der Knackpunkt. Da gibt es einiges, was schief laufen kann, wenn die sexuelle Entwicklung nicht von Grund auf im Einklang mit den universellen Gesetzen geschieht.
Der Umgang mit der Sexualität ist für die spirituelle Entwicklung des Menschen der Knackpunkt, sagst du. Die meisten spirituellen Wege übergehen diesen Knackpunkt allerdings, manche erwähnen ihn kaum, geschweige denn, dass sie ihn die Mitte rücken würden.
Maitreyi: Es waren und sind immer bloß Minderheiten und Auserwählte, die in die Mysterien der Sexualität eingeweiht wurden. Es sind in der Regel Menschen, die auch in der Lage sind, mit diesen hochpotenten Kräften verantwortungsvoll umzugehen. Wir sehen ja heute, wie im Namen der sexuellen Befreiung und Heilung leichtfertig, spirituelle und sexuelle Inhalte kommerziell und selbstsüchtig ausgeschlachtet werden. Seit Jahrtausenden wurden Sexualität und Spiritualität von Religionsführern und Machtinhabern erfolgreich unterdrückt, und das wird vermutlich immer so bleiben. Heute hat dieser globale Kontrollmechanismus lediglich eine etwas modernere „esoterische“ Verpackung. Für die Menschen, die wirklich bereit sind, sich für ihre spirituelle Entwicklung mit Haut und Haaren einzusetzen, ist es so, wie es schon immer war. Die werden auch im Umgang mit ihrer Sexualität, die benötigten Instruktionen und Schulung erhalten, sobald sie wirklich bereit dazu sind.
Echte tantrisch-spirituelle Schulung nur für eine Minderheit von Auserwählten, eine Elite? Und den Traum der spirituellen, ebenso wie den der sexuellen Weltrevolution, den müssen wir begraben?
Maitreyi: Bevor wir an irgendwelche Weltrevolutionen denken können, müssen erst die Voraussetzungen geschaffen werden, die einen Neuanfang ermöglichen. Das Dringendste im Moment ist sicherlich die weibliche Heilung. Für die Rehabilitation der Spiritualität und Sexualität braucht es dringend die befreiten, weiblichen Kräfte. Frauen wurden und werden noch heute wegen ihrer übersinnlichen Fähigkeiten und ihrer Spiritualität unterdrückt, ausgegrenzt, gefoltert und getötet. Frauen wurden und werden in ihrer Sexualität ausgebeutet und missbraucht. Das hat sehr tiefe Wunden in der weiblichen Seele hinterlassen, die so tief sind, dass Frauen aus Angst dazu getrieben wurden, mit den Unterdrückern zu kooperieren und so den Kontakt zu ihren weiblichen Wurzeln verloren haben. Bevor wir nun gemeinsam durch die Sexualität und Spiritualität einen Schritt weiterkommen können, ist es notwendig, dass Frauen ihre Weiblichkeit konsequent heilen und von alten Abhängigkeiten befreien. Und das ist keine Massenveranstaltung und keine Weltrevolution, das sind die authentischen Schritte einer jeden einzelnen Frau, die sie zurück in ihre mystische Heimat führen. Mein neues Buch, das Weibliche Manifest liefert Frauen, das dazu benötigte weibliche Know How.
Noch eine letzte Frage: Wie hältst du’s mit der kleinen und der großen Liebe? Es wird gesagt, dass wir die große Liebe nie erreichen können, das sei nur eine romantische Vorstellung, die wir nicht verwirklichen könnten. Wir sollten uns mit der kleinen Liebe begnügen, mit dem, was bleibt, wenn der Lack ab ist und wir ernüchtert auf dem Boden der Tatsachen angekommen sind. Ist das wirklich so?
Maitreyi: Liebe ist groß, Liebe ist unendlich. Wir Menschen haben die besondere Gabe, sie zu verkleinern, indem wir die große Liebe in unsere kleine Welt und in unsere Verhaltens- und Beziehungsmuster hineinquetschen. Das bekommt der Liebe nicht. Aus Angst entscheiden sich viele Menschen für die kleine Liebe und hoffen, dass sie durch Kompromisse groß wird. Die Nahrung der großen Liebe aber ist weder Angst noch Hoffnung, auch intellektuelle Halbherzigkeiten helfen ihr nicht. Die große Liebe benötigt Wahrhaftigkeit und innere Freiheit, um zu gedeihen. Nicht durch therapieren kann man die große Liebe in Beziehungen einladen, sondern indem man regelmäßig meditiert und das Leben zelebriert. Die große Liebe ist etwas für Mutige und Verrückte, die bereit, sind sich ihr zu öffnen und sich ihr bedingungslos unterzuordnen im Alltag und anderswo!
Maitreyi Piontek: Mit ihren Büchern hatte die Bestsellerautorin die Ära einer neuen heilenden Weiblichkeit eingeleitet. „Das Tao der Frau“ 1996 und ihr Buch zur weiblichen Sexualität 1998 sind für Frauen auf der ganzen Welt zu wichtigen weiblichen Wegweisern geworden. Nach einer längeren Öffentlichkeitspause meldet sich Maitreyi D. Piontek mit dem „Weiblichen Manifest“ zurück.
Wolf Schneider, Chefedaktor von Connection.de